offene arbeit

Während die Kinder in der Kita Sonnenblume vormittags in einem Werk-, einem Tobe- und einem Musikraum spielen, sind in der Kinderkrippe Krabbelnde Käfer alle Türen den ganzen Tag offen und laden zum Erkunden und Entdecken ein. In der Pippi Langstrumpf-Krabbelstube hat das Team vor gut einem Jahr entschieden das Spielzeugangebot zu verändern: Die Kinder finden nur noch Materialien, die das kreative und freie Spiel fördern sollen – die Legoanleitungen, das Barbie-Traumhaus und die Ausmalbilder wurden allesamt aussortiert.

Allen drei Ansätzen ist eines gemein: Die Fachkräfte stellen die eigenmotivierte Betätigung der Kinder in den Mittelpunkt des Kita-Alltags. Und da Kinder situativ entscheiden, was sie interessiert, musste von den Teams ein Konzept gestaltet werden, das offen für diese spontanen Entscheidungen ist. In Krabbelgruppen und Kinderkrippen ergeben sich eine Reihe von Besonderheiten für die Umsetzung einer solchen offenen Arbeit.

 

Routinen erzeugen Sicherheit

Gerade in der pädagogischen Praxis von Krippen und Krabbelstuben haben geregelte Abläufe einen großen Stellenwert. Das liegt in erster Linie daran, dass kleine Kinder sehr auf tägliche Routinen angewiesen sind. Somit sind z.B. der feste Tagesablauf, wiederkehrende Lieder und Reime, der sich immer gleichende Vorgang des Wickelns und die individuellen kleinen Rituale jedes einzelnen Kindes (beim Begrüßen, Verabschieden oder Schlafenlegen) unverzichtbare Elemente. Sie stellen Sicherheit her, entlasten die Kinder und ermöglichen es ihnen ihre ganze Kraft für die anstrengenden Entwicklungsaufgaben einzusetzen, die sie zu bewältigen haben: Sie lernen soziale Regeln in Freundschaften, Gruppen oder der Öffentlichkeit, werden körperlich größer und hören z.B. auf mittags zu schlafen und erobern sich täglich neue Freiheiten, indem sie zusehends selbständiger und autonomer werden.

 

Selbstständigkeit ist ein Bedürfnis

Wenn das Selbstständigwerden hier als Aufgabe bezeichnet wird, so ist damit jedoch nicht gemeint, dass Kleinkinder den Auftrag haben diese zu erfüllen und dazu durch Erwachsene angehalten werden müssen. Das Streben nach Autonomie ist vielmehr eine Entwicklungstatsache und muss bewältigt werden. D.h. aus Sicht des Kindes haben wir es mit einem Bedürfnis zu tun: Kinder wollen – insofern sie nicht mit Macht davon abgehalten werden – selbstständig und selbsttätig sein. Ihnen muss deshalb in Krippen und Krabbelstuben die Möglichkeit dazu gegeben werden. Der Grundsatz des offenen Arbeitens bietet einen guten Ausgangspunkt für die Analyse der pädagogischen Praxis.

 

Freiräume für kleine Kinder

Routinen bestimmen den Tagesablauf in der Krabbelstube. Auch Freiräume müssen deshalb ihre festen Plätze finden. Die Pädagog_innen müssen fragen, zu welchen Zeitpunkten Zeit und Raum für freie und offene Aktivitäten vorhanden sind. Die folgenden drei Beispiele zeigen, wie eine solche Planung aussehen könnte.

Freispiel

Das Freispiel ist bereits dem Namen nach eine offene Aktivität: In dieser Zeit sollen sich die Kinder selbstgewählten Beschäftigungen zuwenden und eben ‚frei spielen‘. Was gilt es dabei zu beachten?

Erzieher_innen können das freie Spiel als offene Aktivität fördern, indem sie tatsächlich keinerlei Einfluss auf die Spielaktivitäten nehmen. Wenn drei Kinder sich entscheiden Vater-Mutter-Elefant zu spielen, muss die Anmerkung, dass der Elefant doch eigentlich das Kind sei, runtergeschluckt werden. Dies gilt auch für die Zweckentfremdung von Spielsachen. Wenn die Sonnenbrille heute ein Telefon ist – ist die Sonnenbrille heute ein Telefon.

Natürlich moderieren die Fachkräfte Konflikte, die die Kinder nicht alleine bewältigen können und organisieren das Zusammenspiel der Gruppe (Abwechseln, Teilen, Verzichten). Das Spiel selbst gehört aber den Kindern. Dafür mag es auch manchmal notwendig werden die Kommentare anderer Kinder abzumildern, wenn diese das freie Spielen unterbinden könnten. Es kommt immer wieder vor, dass z.B. Ältere nur sehr schwer aushalten können, wenn plötzlich Vater-Mutter-Elefant gespielt wird – die Kleineren daran hindern dürfen sie aber nicht.

Basteln und Malen

Basteln und Malen bieten Kindern vielfältige Lerngelegenheiten. Sie erfahren Materialien, üben ihre Feinmotorik, lernen Farben und Perspektiven kennen und können beobachten wie aus voneinander unabhängigen Einzelteilen ein neues Ganzes entsteht. Gerade für Kleinkinder muss das ein fast magischer Moment sein. Thematisch orientieren sich Basteleien und Malangebote dabei oft am Jahresverlauf (Jahreszeiten, Feiertage) und an Projektthemen der Gruppe (Wetter, Tiere, Natur).

Fachkräfte können das Basteln und Malen offen gestalten, indem sie einen freien Zugang zu den Utensilien und Materialien schaffen: Scheren, Farben, Pinsel, Kleber und Stifte sind zu allen Zeiten für die Kinder erreichbar – auch in der Freispielzeit. Sie verknüpfen dann die Offenheit und Selbstbestimmung des Freispiels mit den kreativen Möglichkeiten, die das Material und die Werkzeuge ihnen bieten. Diese Förderung von Selbstwirksamkeit ist jeden Kleberfleck, jedes ausgiebige Händewaschen und jeden kaputten Malstift wert.

Weiterhin können sich den Kindern Freiräume eröffnen, wenn die allseits beliebten Ausmalbilder zwar vorhanden, aber nicht unendlich verfügbar sind. Der Vorrat einzelner Motive kann sich nach und nach erschöpfen. Dieser leicht nachvollziehbare und „objektive“ Grund bewegt die Kinder dann vielleicht dazu auch mal ein anderes Motiv zu wählen – nach vier Baggern eine Prinzessin – oder eben ein leeres Papier. So öffnen sich neue Freiräume, wenn die bisherigen Routinen durchbrochen werden. Diese können die Kinder dann mit neuen Ideen füllen.

Singen und Reimen

Singen und Reimen werden zu schöpferischen Aktivitäten, wenn Fachkräfte auf genügend Freiräume achten, in denen Kinder eigene Ideen umsetzen können. Die Kinder sollten die Möglichkeit haben ihre Fantasie einzusetzen, indem sie z.B. bestehende Lieder umdichten und in „Quatsch“ verwandeln, wild mit Instrumenten experimentieren oder das Kasperltheaterstück durch ihre Zwischenrufe mitgestalten.

Angebote sollten also immer die Möglichkeit enthalten, dass Kinder sie anders interpretieren und in etwas Eigenes verwandeln können. Musik ist nur dann ein kreativer Prozess, wenn sie nicht ergebnisorientiert gedacht wird: „So geht das Lied aber nicht!“ ist ein Satz, der nicht fallen sollte, weil er die freie Entfaltung der Kinder unnötig einengt.

Auch hier gilt bei Kleinkindern jedoch, dass sie bis zu einem gewissen Maß ein Anrecht auf verlässliche und sich wiederholende Angebote haben. Neben dem immer gleichen Morgenlied könnten am Nachmittag beim Vorlesen dann aber durchaus alle Namen der Figuren des Buches durch die der Kinder aus der Gruppe ersetzt werden.

 

Ich mach mir die Welt…

Offene Arbeit im U3-Bereich gelingt, wenn die Beteiligten darauf achten die Kreativität und den Ideenreichtum der Kinder nicht einzuschränken. Wenn ein Kind auf die Idee kommt eine Giraffe schwarzgrün auszumalen, wäre der Hinweis, dass Giraffen doch eigentlich braungelb sind ein enormes Hindernis für selbstmotiviertes Lernen. Dieses interessengesteuerte nachhaltige Lernen ist das Ziel einer modernen kindzentrierten Pädagogik.

Für Erwachsene stellen solche Einfälle oft eine Abweichung dar. Diese wird dann als Zeichen dafür gedeutet, dass ein Kind etwas noch nicht verstanden hat. Für Kinder ist es jedoch wichtig die Welt durch ihre eigenen Handlungen zu beeinflussen und zu gestalten. Daran wachsen und reifen sie und bauen mit Bestätigung und Akzeptanz durch die Erzieher_innen ein gesundes Selbstbewusstsein auf. Dieses wird dann getragen durch die Erfahrung nicht nur passiv als Empfänger_in bereits bestehender Regeln zu gelten, sondern aktiv als Gestalter_in der eigenen Lebenswelt ernst genommen und eingebunden worden zu sein.

 

Boris Ulshöfer (Dr. phil. Dipl. Päd.) ist LAG-Fachberater