Wenn man die Stichworte offenes Konzept hört, so entsteht in der Regel das Bild einer großen Einrichtung vor dem inneren Auge. Durch eine Vielzahl von Funktionsräumen flitzen Hort-, Kita- und Krippenkinder frei umher und entscheiden selbst, ob sie heute lieber werken, tanzen, lesen oder kneten wollen. Auch das Außengelände ist jederzeit zugänglich und ein buntes Treiben, Wimmeln und Wuseln beherrscht den Alltag, immer getragen vom Eigeninteresse und der Kreativität der Kinder.

Folgt man diesem Bild, so kommt man schnell zu dem Schluss, dass es zwar sehr spannend und aufregend klingt offen zu arbeiten, eine gewisse Größe dafür aber nicht unterschritten werden darf. Ein- oder zweigruppige Einrichtungen, die vielleicht sowieso schon mit knappen Räumlichkeiten auskommen müssen, scheinen somit von diesem Konzept ausgeschlossen. Doch stimmt das wirklich? Oder kann man auch ohne Werk- und Turnraum offen arbeiten?

 

Offenheit ist vielschichtig

Das eingangs beschriebene Bild wird getragen von der Idee, dass tatsächlich Räume offen sind. Und auch wenn man heutzutage mit Recht davon ausgeht, dass die Gestaltung der Umgebung von Kindern großen Einfluss auf deren Spiel- und Lernverhalten hat, so ist sie doch immer auch „nur“ als Abbild der pädagogischen Überlegungen in der Einrichtung zu verstehen. Das heißt, Offenheit in der Arbeit mit Kindern kommt nicht erst mit offenen Türen.

Mit der Idee wird vielmehr ganz grundsätzlich dem Ansatz gefolgt, dass pädagogische Situationen, also Momente der Erziehung und des Lernens, erst in der Praxis entstehen. Man erkennt an, dass es unmöglich ist bestimmte Abläufe vorauszusagen, genauso, wie es unmöglich ist, vorherzusehen für was sich das individuelle Kind in diesem oder im nächsten Moment interessieren wird. Das heißt natürlich nicht, dass keine Begeisterung für (vor-)bestimmte Themen erzeugt werden kann. Doch wissen alle Pädagog_innen, dass nachhaltiges Lernen immer auf der Eigenmotivation und dem ehrlichen Interesse der Kinder fußt.

 

Regeln und Regelmäßigkeiten gehören zu Offenheit

Offenes Arbeiten meint also in erster Linie, das pädagogische Angebot sensibel und situativ den Bedürfnissen der Kinder anzupassen. Dies ist aber nicht als Absage an das Aushandeln fester Regeln gemeint. Regeln und Regelmäßigkeiten sind wichtiger Bestandteil des Alltags und als Orientierungsrahmen für Kinder unerlässlich. Aber hilft es doch, den Kindern auch bei diesem Aspekt gut zuzuhören. So wird hinter der wiederholten Übertretung einer Regel zumeist ein pädagogisch aufzuarbeitendes Thema stehen, das wiederum auf kindlichen Bedürfnissen beruht. Besonders wilde und laute Kinder könnten beispielsweise das Gefühl haben, ohne Konflikte nicht ausreichend wahrgenommen zu werden. Aufbauend auf dieser Erkenntnis müssen professionelle Fachkräfte in der Lage sein Formen abzuleiten, die helfen dieses Gefühl aufzufangen und damit produktiv umzugehen. In unserem Beispiel könnten vermehrte Gesprächsangebote (Erzählkreise, Kleingruppenaktivitäten) und häufige interessierte Nachfragen im Tagesverlauf durch die Pädagog_innen initiiert werden. So bieten solche Hinweise von Kindern auch immer eine gute Grundlage, um das eigene Handeln zu hinterfragen. Offenheit meint dann auch, die Gestaltung des Kita-Alltags durch die Fachkräfte nicht als gesetzt und unabänderlich zu sehen.

 

Entscheidungen treffen macht stark

Ein Grundsatz des offenen Arbeitens muss immer sein, dass Kinder Möglichkeiten haben mitzubestimmen. Wichtiger als der Turnraum ist somit der vorhandene Raum für Entscheidungen. Das gemeinsame Gestalten des Lebens und Lernens in der Einrichtung, vom hessischen Bildungs- und Erziehungsplan mit Ko-Konstruktion bezeichnet, sollte im Mittelpunkt dieser Pädagogik stehen.

Der Ansatz wird mit der Erkenntnis begründet, dass Selbstwirksamkeit eine der zentralen Erfahrungen in der kindlichen Entwicklung ist. Wenn Kinder sehen, dass sie realen Einfluss auf ihre Umwelt nehmen können, wachsen ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstständigkeit enorm. Dazu muss auch immer wieder gehören, Angebote tatsächlich freiwillig zu gestalten und ein eventuelles Nein einzelner Kinder zu akzeptieren. Es empfiehlt sich, diesen Fall gleich bei der Planung mitzudenken. So könnte man z.B. eine andere Gruppe fragen, ob ein Kind bei ihr bleiben kann, wenn es nicht auf den eigenen Ausflug mitkommen möchte. Oder man ermöglicht einzelnen älteren Kindern (z.B. unter besonderen Regeln) alleine im Innenbereich zu spielen, während der Rest auf dem Außengelände ist.

 

Symbole für Offenheit schaffen

Auch in kleinen Einrichtungen ist es also möglich (pädagogisch) offen zu arbeiten. Um diesen Ansatz greifbar und erfahrbar zu machen, können dabei jenseits der klassischen Funktionsräume andere Symboliken und Praktiken geschaffen werden. Dies fängt schon dort an, wo auch der aus Scherz gemalte Osterhase in der Adventszeit in der Gruppe aufgehängt wird. Weitere Beispiele sind gemeinsam getroffene Entscheidungen (Essensplan, Ausflugsziele), individuelle Angebote (Ausnahmen, Freiwilligkeit) oder tatsächlich ungeplante Zeiteinheiten (Freispiel, Kreativangebote ohne Thema).

Auch in Bezug auf knappe Räumlichkeiten kann man zudem durchaus kreativ werden: Vielleicht macht man es möglich, dass Kinder sich gegenseitig in den Gruppen besuchen dürfen, vielleicht gibt es einen Flur der teilweise für Spiele geöffnet werden kann, vielleicht darf das ein oder andere Kind mal in der Kitaküche mithelfen. Alle diese kleinen Ideen transportieren dabei immer die Botschaft, dass es auch für Kinder möglich ist, im gemeinsamen Lebensraum Kita zu entscheiden, zu wählen und zu gestalten. Gleichzeitig öffnen sich Lern- und Erfahrungsräume, in denen die Kinder eigenmotiviert und interessengeleitet aufwachsen können. Dies stellt nicht nur die effektivste Form des Lernens dar, es fördert nicht zuletzt auch die Zufriedenheit der Kinder mit ihrer Kita.

 

 

Notiz zum Autor

Boris Ulshöfer (Dr. phil. Dipl. Päd.) ist LAG-Fachberater mit dem Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit